Das Licht am Ende des Kofferraums

Sieben Frauen mit unterschiedlicher Körpergröße, in verschiedenen Altersgruppen und aus einer großen Bandbreite von Berufen bei Opel stehen vor der Klimakammer. Darin parkt ein Prototyp des neuen Mokka – bei -30°Celsius. Nacheinander betreten die Frauen einzeln den Raum, öffnen und schließen den Kofferraum.

Sie testen in Zusammenarbeit mit der Fachabteilung, welche Gasdruckfedern an der Kofferraumklappe für Frauen ideal sind: Sind die Kräfte beim Schließen zu hoch, tun sich insbesondere schwächere Frauen schwer. Ist die Dämpfung zu gering, fällt die Kofferraumklappe zu leicht herunter. Weil die Außentemperatur das Öl in den Dämpfern zäh- oder dünnflüssig werden lässt, wird geprüft, wieviel Kraft „frau“ tatsächlich braucht – bei Temperaturen zwischen -30°und +60°Celsius!

Was ist Frauen an Autos wichtig?

Die sieben Testerinnen gehören zum Women Perspective Panel (WPP). Ihr Ziel: Autos entwickeln, die auch auf die Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche von Frauen eingehen. Doch worin unterscheiden sich diese von denen von Männern?

Pia Pommer, die das WPP-Pilotprojekt zum neuen Mokka geleitet hat, kennt zahlreiche wissenschaftliche Studien über Frauen und Autos. Praktischer veranlagt seien die Frauen demnach: „Ein Auto ist für viele Kundinnen in erster Linie ein Transportmittel“, erzählt sie. „Es soll einen günstigen Kraftstoffverbrauch haben und sicher sein. Weil Frauen durchschnittlich kleiner sind als Männer, wünschen sie sich, dass Sitz, Lenkrad und Sicherheitsgurt gut verstellbar sind. Im Vergleich zu Männern legen sie außerdem mehr Wert auf Ablageflächen im Auto und haben einen wesentlich größeren Fokus auf den Kofferraum – sowohl in Hinblick auf die benötigte Kraft und die Haptik beim Öffnen und Schließen der Klappe als auch auf die Beleuchtung im Innenbereich. Das sind aber nur wenige Beispiele.“

Cockpit Opel Mokka
Frauen wünschen sich, dass Sitz und Lenkrad gut verstellbar sind

Die Vorlieben der Frauen sind unterschiedlicher als die der Männer

Doch Pia Pommer erklärt auch: „Gleichzeitig sind die Vorlieben von Frauen komplexer. Umfragen zeigen, dass die Bandbreite der Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen bei den weiblichen Kunden interessanterweise wesentlich breiter ist als bei den männlichen. Das gilt auch für die Ästhetik. So sind unter den Personen, die ‚niedlich aussehende‘ Autos mögen, zwar vor allem Frauen. Doch viele Frauen bevorzugen auch Fahrzeuge mit sportlich kraftvollem Aussehen. Innerhalb der weiblichen Kundschaft sind die Unterschiede also sehr groß.“

Viele Frauen bevorzugen Autos mit sportlich kraftvollem Aussehen

Die Anfänge des WPP bei Opel

Die Ingenieurin weiß, wovon sie spricht. Die Frage, was Frauen von Autos erwarten, beschäftigt Pia Pommer schon seit den Anfängen des Opel Frauennetzwerks vor sieben Jahren. Damals stieß sie mit ihrer Arbeitsgruppe innerhalb des Frauennetzwerks auf die große Vielfalt der weiblichen Vorlieben beim Auto. Mit dem Zusammenschluss von Opel und der Groupe PSA ergab sich schließlich die Möglichkeit, das Women Perspective Panel bei Opel zu etablieren – in Frankreich gab es das schon.

Ein Bild aus den Zeiten vor Corona: Pia Pommer (3. v. links) mit Nina Thiele (2. v. links) und einigen der Frauen, die sich in den Panels engagieren

Die Ingenieurin wählte in einem Team sieben bewusst unterschiedliche Frauen aus: in Bezug auf Alter, Körpergröße und Ausbildung sowie mit und ohne Kinder. Dass unterschiedliche Frauen auf verschiedene Aspekte am Auto achten, wusste sie schließlich schon: Einer kleinen Person würde zum Beispiel eher auffallen, wenn ein Griff zu hoch ist. Und eine Mutter würde sicherlich auf die Kinderfreundlichkeit besonders achten. Die Diversität der Frauen sollte eine Basis darstellen; arbeiten würden sie jedoch neben Erfahrungswerten auf Grundlage wissenschaftlicher Studien und valider Umfragen.

„Frauen haben eben einen Blick fürs Detail“

So arbeitet das WPP

Der neue Mokka war das erste Projekt, das das WPP bei Opel begleitete. Marketing und WPP stimmten sich bereits in der Zielsetzungsphase ab: So sollte der Newcomer Männer und Frauen gleichermaßen ansprechen. Das WPP testete dafür neben dem Mokka der ersten Generation verschiedene Vergleichsfahrzeuge, sogenannte Benchmark-Fahrzeuge.

Daraufhin füllte das Team einen Fragebogen aus und gab eine ausführliche Stellungnahme dazu ab, was aus Frauensicht bei einem solchen Fahrzeug insbesondere beachtet werden müsste. Beispielsweise empfahlen die Frauen, die Sitzhöhe verstellbar einzurichten, darauf zu achten, dass der Sicherheitsgurt bei jeder Körpergröße angenehm zu tragen ist und die Gänge ohne großen Kraftaufwand geschaltet werden können. Die Heckklappe sollte auch für kleine Frauen gut erreichbar sein, um den Kofferraum zu schließen. Herkömmliche Griffschalten hatten das Problem, dass speziell Frauen mit langen Fingernägeln abrutschen konnten – also musste ein Griff her. Nicht zuletzt ergaben die Analysen der Frauen den Wunsch nach genügend Licht im Kofferraum. Dieses sollte so angebracht sein, dass es nicht vom Gepäck verdeckt würde. „Frauen haben eben einen Blick fürs Detail“, lacht Pia Pommer.

Pia Pommer erreicht bequem den Kofferraumgriff

Herkömmliche Griffschalten hatten das Problem, dass speziell Frauen mit langen Fingernägeln abrutschen konnten – also musste ein Griff her.

Enge Zusammenarbeit mit verschiedenen Abteilungen

Sie stellte das Ergebnis in mehreren Entscheidungsmeetings vor. Das Projektteam unterstützte sie sofort – und entwickelte die Ideen des WPP in deren Sinn weiter. So wurde beispielsweise beim neuen Mokka die Zuziehkraft der Heckklappe optimiert und eine Stange in die Heckklappe integriert, um die jede Hand bequem greifen kann, ohne abzurutschen. Aufgrund der praktischen Ausrichtung der Zielgruppe kam noch ein Haken zum Aufhängen von Taschen dazu. Licht im Kofferraum, das ursprünglich nicht vorgesehen war, wurde installiert – und zwar hoch genug, dass es nicht zugestellt werden kann.

Das WPP testete die Ergebnisse und gab erneut Feedback. So entstand eine enge Zusammenarbeit, die bis zum Ende der Fahrzeugentwicklung reichte. Mittlerweile wird jedes neue Autoprojekt von einem eigenen WPP-Team begleitet. „Das Teamwork geht so weit, dass die Empfehlungen des WPP jetzt sogar im Key Performance Index der Chefingenieure enthalten sind. Sie werden also verwendet, um zu überprüfen, ob diese ihre Ziele erreicht haben“, berichtet Pia Pommer.

Die Ingenieurin Pia Pommer arbeitet an den elektrischen Bedienfeldern im Cockpit

Auch in Zukunft Diversität im Blick

Mittlerweile hat Pia Pommer die Leitung des WPP an Nina Thiele übergeben. Doch das Thema lässt sie nicht los. Als zuständige Ingenieurin für die elektrischen Bedienfelder im Cockpit definiert sie, welche Größe und Position dort beispielsweise die Knöpfe haben und wie sich deren Aufteilung intuitiv gestalten lässt. Dabei greift sie oft auf Voruntersuchungen mit Testpersonen zurück, etwa aus dem WPP.

Und auch privat hat ihr die Arbeit für das WPP neue Sichtweisen eröffnet: „Jedesmal wenn mich jemand im Auto mitnimmt, muss ich erstmal alles anfassen und aufmachen. Prüfen, wie und für wen das gemacht ist, ob es für Frauen und Männer gut funktioniert. Die Arbeit hat mich Autos auf jeden Fall mit anderen Augen sehen lassen!“

Pia Pommer (rechts) hat die Leitung des WPP mittlerweile in gute Hände an Nina Thiele (links) übergeben
Text: Regine Rompa; Fotos: Pia Pommer