Der Carchäologe

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In 30 Vitrinen präsentiert Robert Kohler aktuell seine Modelle in der „Cité de l’Automobile“ in Mülhausen.

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Kohlers Sammlung umfasst insgesamt 123 selbstgestaltete Dioramen mit 650 Auto-Modellen im Maßstab 1:43.

„Ein Auto ist eine nützliche Maschine. Stärker ist meine emotionale Bindung nicht.“ Robert Kohler, Jahrgang 1948, steht in der französischen Stadt Mülhausen mitten im Nationalen Automobilmuseum, der berühmten und beeindruckenden „Collection Schlumpf“. Und er ist nicht einfach nur Besucher dieses mit weit mehr als 400 Oldtimern größten Automobilmuseums der Welt, sondern er ist selbst Aussteller. Seine Sonderausstellung, die noch bis Ende August 2017 in der „Cité de l’Automobile“ zu sehen sein wird, heißt übersetzt „Meine kleine Geschichte des Automobils“. Ein Automobilaussteller ohne emotionale Bindung zu Autos – wie soll das gehen?

 

Automobile Welt
passt in den Kofferraum

 

Um dies zu verstehen, muss man genauer hinschauen. Denn Robert Kohler ist kein Sammler luxuriöser Oldtimer oder ausladender historischer Karossen. Seine „kleine Geschichte des Automobils“ ist wörtlich zu nehmen: Er hat sie im Kofferraum eines Kombis nach Mülhausen gebracht. Der gebürtige Schweizer sammelt und baut Miniatur-Modelle im Maßstab 1:43 und stellt sie in Dioramen aus. Es handelt sich dabei um mit historisch nachempfundenen Hintergrundbildern ausgeschmückte Schaukästen. Die Automobil-Modelle sind nur wenige Zentimeter groß. Aber sie sind keine Fantasiemodelle, sondern sie entsprechen im Maßstab 1:43 der Realität – auch wenn diese bereits seit Langem vergangen ist. Emotional muss man im Verhältnis zu dieser Vergangenheit nicht werden. Ägyptologen entwickeln auch nicht zwingend Gefühle zu den Artefakten, die sie ausgraben, restaurieren oder rekonstruieren. In gewisser Weise ist auch Robert Kohler Archäologe, oder besser gesagt: Er ist „Carchäologe“.


Seit frühester Kindheit sammelt der seit vielen Jahren in Paris lebende Eidgenosse Automodelle. „Mein erstes Modell habe ich mit drei oder vier Jahren geschenkt bekommen“, erinnert er sich. Später baut er heimlich mit dem Werkzeug des älteren Bruders Spielzeugautos. Sein Leben verändert sich nachhaltig, als er von einem Design-Nachwuchswettbewerb hört, den der US-amerikanische Autobauer General Motors 1965 auch in der Schweiz veranstaltet. Aufgabenstellung: ein Auto der Zukunft entwerfen und als Modell bauen. Als Hauptpreis winkt eine dreiwöchige Reise in die Vereinigten Staaten inklusive des Besuchs des Technical Centers und der Designabteilung von GM. Das ist genau die Herausforderung, die der Teenager braucht.

 

Vom Sammler
zum Designer

 

Kohler baut nicht ein Modell, sondern drei. In der Schweiz werden 400 Modelle eingereicht, mit den Plätzen drei und acht schafft er es gleich zweimal in die Top Ten. Im Jahr darauf wird Kohler unglücklicher Vierter und anschließend endgültig vom Ehrgeiz gepackt. Bereits jetzt steht für ihn fest, dass er Designer werden will. Und dass er diesen Wettbewerb gewinnen muss. Da soeben am Opel-Standort Rüsselsheim unter der Leitung von Erhard Schnell eine Design-Abteilung aufgebaut wird, bewirbt er sich kurzerhand um ein dreiwöchiges Praktikum. Die Türen öffnen sich.

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Schon als Teenager beschäftigte sich Kohler mit dem Design futuristischer Autos: „Wenn man eine Idee zu Papier bringt, fertigt man kleine Skizzen. Diese haben etwas Lebendiges, Dynamisches.“


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Zeitlose Faszination: „Kleine Dinge haben den Vorteil, dass man sie aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann.“ Das Foto zeigt Kohler während seines Praktikums 1966 im Opel Design Center.


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Kohler begnügte sich nicht mit dem Skizzieren von Ideen.

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Ihm ging es darum, seine Ideen in fertige Modelle umzusetzen.

An seine kurze, aber intensive Zeit bei Opel im Sommer 1966 denkt Kohler gerne zurück: „Zunächst lernte ich dort, wie die Designer Skizzen anfertigen. Schon bald durfte ich an einem neuen Modell arbeiten, es entwerfen und aus Plastilin herstellen. Damit habe ich dann zum dritten Mal beim Design-Wettbewerb teilgenommen.“ Um wieder knapp sein Ziel zu verfehlen: Kohler, gerade 18 Jahre alt geworden, wird Zweiter. Ein paar Monate später erfährt er aus einem Telegramm aus Detroit, dass sein Modell einen Spezialpreis gewonnen hat. Immerhin. Und im darauffolgenden Jahr triumphiert er endlich und gewinnt den Nachwuchswettbewerb. Trotz einiger Angebote aus Styling-Studios entscheidet er sich dafür, die Schule zu beenden und in Lausanne zu studieren. Kohler wird diplomierter Industriedesigner aus Leidenschaft. Er geht nach Paris, und mit ihm seine Auto-Modelle, deren Zahl kontinuierlich wächst. In der französischen Hauptstadt gründet er 1975 die Produktdesignagentur Kohler & Co.

 

Die Tür zur Design-Welt
bei Opel öffnet sich

 

Im Alter von 50 Jahren schließt Robert Kohlers 1999 sein Designbüro und beschäftigt sich in den darauffolgenden Jahren immer intensiver mit der Frühphase der Automobilentwicklung. „Meine ältesten Modelle stammten aus den Jahren 1895 bis 1897. Ältere hatte ich nicht und fand ich auch nicht. Offenbar schien sich außer mir niemand dafür zu interessieren. Ich begann zu recherchieren, Bücher und Abbildungen zu sammeln – und diese alten Autos als Miniatur-Modelle realitätsgetreu nachzubauen.“


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Kohlers Dioramen sind weit mehr als nur Kulissen für Miniaturmodelle: Sie sind Schaufenster in vergangene Wirklichkeiten.


Seine erste kleine Ausstellung von drei Dioramen kommt zu Kohlers großer Überraschung gut an. Die Idee, aus dieser Ausstellung ein kleines Business zu entwickeln und mit verschiedenen Autohäusern zu kooperieren, schlägt jedoch fehl. Doch Kohler arbeitet, recherchiert, sammelt und baut weiter. Und wieder öffnen sich ihm Türen: Fünf Jahre lang stellt er auf Einladung des Marquis Henri-François de Breteuil in dessen 40 Kilometer südöstlich von Paris gelegenen Chateau de Breteuil aus, später dann auch bei Renault sowie in verschiedenen Museen in Paris und in seiner Heimatstadt Genf. Gleichzeitig baut er immer neue Dioramen und neue Modelle. Heute umfasst seine Sammlung 123 Dioramen mit insgesamt 650 Auto-Modellen, davon 300 extrem seltene Stücke oder Unikate. Seine „kleine Geschichte des Automobils“ deckt die Zeitspanne von 1860 bis 1990 ab. Seit elf Jahren stellt Kohler seine Arbeiten aus – doch immer nur in kleinen Ausschnitten. Allein hier den organisatorischen Überblick zu behalten, ist eine Herkulesaufgabe.

 

Der große
Kleine-Geschichten-Erzähler

 

Zu jedem einzelnen Modell hat Kohler Historisches wie auch Persönliches zu berichten – und er tut dies leidenschaftlich gern. Denn einerseits sind die Modelle Teil seines Lebens und Ausdruck seiner eigenen Kreativität. Andererseits sind sie Schaufenster nicht nur in die Geschichte der Technik, sondern auch der Gesellschaft. Daher parken in einem seiner Dioramen historische Modelle auch vor einer dem Original nachempfundenen Fassade des ersten Pariser Kaffeehauses. Kohler zeigt sowohl die Einzelheiten als auch die historischen Zusammenhänge der jeweiligen Epochen. Seine über viele Jahrzehnte entwickelte Fertigkeit und Erfahrung erlaubt es ihm, anhand einer einzigen historischen Abbildung originalgetreue Skizzen zu erstellen und diese dann in Modellgröße zum Leben zu erwecken. „Für ein Modell brauche ich dann nicht mehr als zwei Tage“, sagt er.

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Aufgrund seiner über Jahrzehnte entwickelte Fertigkeit braucht Robert Kohler nur wenige Tage für den Bau eines Modells.

Natürlich gehört auch ein historischer Opel, Stadtcoupé von 1908, in Kohlers Sammlung.


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Ständig plant Robert Kohler neue Ausstellungen und entwirft neue Ausstellungsstücke.


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Die Ästhetik der Miniatur

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Nicht immer verrät eine alte Abbildung auf Anhieb, wie ein Gefährt funktionierte. Manches Rätsel ist noch heute ungelüftet.

Warum aber hat er heute keine besonders emotionale Bindung zu Autos? „Meine Liebe zu den Modellen ist deutlich größer“, betont Kohler. Und hier scheint der Designer durch: „Ich liebe Ideen und Konzepte, nicht so sehr das Objekt selbst. Wenn man eine Idee zu Papier bringt, fertigt man kleine Skizzen. Diese haben etwas Lebendiges, Dynamisches. Wenn du versuchst, sie größer und detaillierter zu zeichnen, geht etwas verloren. Kleinheit hat den Vorteil, dass eine Konzentration stattfindet. Das Auge kann eine kleine Skizze komplett erfassen, das gilt auch für ein kleines Modell. Und man kann kleine Dinge aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten.“ Beim Anblick seiner Dioramen wird klar: Selten war der Satz „Small is beautiful“ so richtig wie hier.

 

Small is beautiful

 

Seine Liebe gilt vor allem den Anfängen der Automobilentwicklung, die er mit Namen wie Daimler, aber auch De Dion-Bouton oder Panhard verbindet. Sein Interesse endet bei Modellen, die nach Mitte der 1990er-Jahren entwickelt wurden. Das Faszinierende liegt für Kohler in der Vielfalt der frühen Entwicklungsansätze. „Manche Pioniere legten den Schwerpunkt auf unterschiedliche und miteinander konkurrierende Motorenarten, andere auf die Ausgestaltung des eigentlichen Fahrzeugs, zu denen die Motoren extern zukauften. Es ging um Geschwindigkeit, um neue Antriebsarten, um Leichtigkeit, und es gab ganz unterschiedliche und auch regionale Umstände, die die Automobilentwicklung stark beeinflussten. So hinkten einige Zeit die Engländer den Schotten in Sachen Fahrzeugbau hinterher. Warum? Weil es in England ein Gesetz gab, demzufolge motorisierte Fahrzeuge nicht alleine gefahren werden durfte. Es musste immer jemand vorneweg laufen, um andere Verkehrsteilnehmer zu warnen. Das bremste die englische Entwicklung für längere Zeit aus.“

 

Wer so etwas weiß, dem geht es nicht nur um den Modellbau, sondern darum, Geschichte lebendig zu machen. Das macht den Unterschied aus zwischen einem Modellbauer und -sammler und einem Carchäologen wie Robert Kohler.


Die bemerkenswerte Geschichte der „Collection Schlumpf“


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Die Brüder Schlumpf

 

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Das Cité de l’Automobil in Mulhouse gilt als größtes Automobilmuseum der Welt.

Die Brüder Hans und Fritz Schlumpf (1904–1989 bzw. 1906–1992) gehörten Ende der 1950er-Jahre zu den einflussreichsten „Patriarchen“ der französischen Textilbranche. Mit ihren vier Spinnereien beherrschten sie den Markt für gekämmte Garne. Als Ende der 1950er-Jahre die Bugatti-Fabrik in Molsheim geschlossen wurde, entschloss sich Fritz Schlumpf, das Erbe des ruhmreichen Herstellers zu retten. Insgesamt trug er 87 Fahrzeuge der Marke Bugatti zusammen.

Doch die Sammelleidenschaft beschränkte sich bald nicht mehr nur auf Bugattis. Zwischen 1961 und 1963 kaufte Fritz Schlumpf etwa 200 europäische Automobile – zumeist über Strohmänner – und lagerte sie heimlich ein. Ab 1965 entwickelte er die Idee eines Museums und begann, die einstige Produktionshalle der Textilfabrik in Mulhouse in eine 17.000 Quadratmeter große Ausstellungshalle umzubauen. Innerhalb von zehn Jahren investierte er rund zwölf Millionen Francs in seine Leidenschaft. Dennoch sollte das Museum nie eröffnet werden, denn das Geld entstammte komplett dem Firmenvermögen.

Auf diese Weise trieb Fritz Schlumpf das ganze Textilimperium 1976 in den Ruin. Fast 2.000 Arbeiter verloren ihre Arbeit. Noch während des Konkurses flohen die Brüder Schlumpf nach Basel. Die 1977 von Jürg-Peter Lienhard heimlich im Privatmuseum der Schlumpfs aufgenommene Fotoreportage bestätigte alle Gerüchte über die Maßlosigkeit, mit der die Brüder Betriebskapital für ihre Privatsammlung abgezweigt hatten. Nach der Veröffentlichung besetzte ein Großteil der betroffenen Arbeiter die Sammlung, gewissermaßen „als Pfand für die verlorenen Arbeitsplätze“.

Zum Zeitpunkt der Besetzung umfasste das „Luxusspielzimmer“ der Schlumpf-Brüder, 413 restaurierte Oldtimer sowie Dutzende nicht restaurierter Autos, zahlreiche Motorräder und Fahrräder, ein halbes Schiff sowie eine zweimotorige Douglas DC 3. Mit dem zu erzielenden Erlös aus dem Verkauf der Fahrzeuge hätten die Forderungen der Gläubiger bedient werden können. Doch durch die Intervention der französischen Regierung wurde die Sammlung in ihrer Gesamtheit erhalten. 1982 wurde das „Musée nationale de l’Automobile“ eröffnet. Seit 1989 trug es den Namen „Nationales Automobilmuseum – Collection Schlumpf“.

Hans und Fritz Schlumpf wurden wegen betrügerischem Konkurs und Veruntreuung von Betriebsvermögen angeklagt. Die Affäre erregte internationales Aufsehen und zog jahrelange Gerichtsverfahren nach sich. Selbst nach dem Tode von Hans Schlumpf 1989 wurde weiter hartnäckig prozessiert – bis kurz vor den Tod von Fritz Schlumpf drei Jahre später. Aufgrund seines hohen Alters und seiner Demenzerkrankung war die vierjährige Haftstrafe auf ein Jahr auf Bewährung begrenzt worden.

Im März 2000 wurde das größte Automobilmuseum der Welt nach umfangreichen Renovierungen wiedereröffnet. Nach einer Erweiterung des Museums wurde das Museum 2006 zur „Cité de l’Automobile“. 2011 wurde mit dem „Autodrom“ eine 4.500 Zuschauer fassende Rennstrecke eingeweiht, auf dem seither historische Fahrzeuge zu neuem Leben erwachen.

 


↑  Einblicke in die Sammlung

Stand Mai 2017

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Text: Matthias Heitmann, Fotos: Frederik Laux