Ein milder Morgen am Gardasee. Ausstellungskuratorin Beate Kemfert und ihr Kollege, Haustechniker Björn Erpenbach, sitzen im Opel Movano, hinten auf der Ladefläche sorgfältig gesicherte Pakete. Darin: gleich mehrere Gemälde der französischen Malerin Hélène de Beauvoir. „Wir waren bei privaten Sammlern in Italien, aber auch in Deutschland unterwegs“, erzählt Kemfert. „Ohne den Movano und den Vivaro hätten wir das logistisch kaum geschafft.“
Die Fahrzeuge sind mehr als nur Transportmittel – sie sind sichere Begleiter einer europäischen Kunstexpedition, die über Monate andauerte. Von Bad Homburg bis Regensburg in Bayern sammelte Kemfert Werke zusammen, die nun erstmals in Deutschland in einer großen Retrospektive in den Opelvillen in Rüsselsheim zu sehen sind: „Hélène de Beauvoir. Mit anderen Augen sehen“.






Sie trägt einen berühmten Namen, doch viele kennen sie nicht. Hélène war die jüngere Schwester der Philosophin und Schriftstellerin Simone de Beauvoir, doch sie ging ihren eigenen Weg: als Malerin, Feministin und Zeitzeugin. Bereits 1936 zeigte Picasso sich beeindruckt von ihrer ersten Ausstellung in Paris – dann aber verschwand sie vom Radar der Kunstwelt. Erst jetzt, fast 25 Jahre nach ihrem Tod, wird ihr Werk neu entdeckt. Die Opelvillen zeigen über 150 Leihgaben aus sechs Ländern: Ölgemälde, Aquarelle, Kupferstiche, Zeichnungen, Original-Plakate – viele davon erstmals öffentlich. Die Schau erzählt ein Leben zwischen Realismus und Abstraktion, zwischen Harmonie und Aufruhr.
Ungeahnte Entdeckungen
„Es war eine spannende Spurensuche in Europa“, sagt die Kuratorin Beate Kemfert mit einem Lächeln. Wochenlang sichtete sie Archive, private Dachböden, Nachlässe. „Oft wussten die Besitzer gar nicht, was sie da in ihren Kisten hatten.“ Einige Werke, wie die „Impressionen aus Venedig“ von 1955, wurden kurz vor Ausstellungsbeginn mit einem Opel Vivaro aus Bad Homburg abgeholt. „Jeder Transport ist aufregend – das Bild haben wir bestens verpackt und verschnürt sicher nach Rüsselsheim gebracht.“
„Es war eine spannende Spurensuche in Europa. Oft wussten die Besitzer gar nicht, was sie da in ihrem Besitz hatten.“
– Ausstellungskuratorin Beate Kemfert –





Hélène de Beauvoir.
Mit anderen Augen sehen
Öffnungszeiten: Montag, Dienstag, Donnerstag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr // mittwochs bis 20 Uhr
Die Ausstellung ist noch bis zum 8. Februar 2026 in den Opelvillen zu sehen.
Führungen & Programm: Regelmäßige öffentliche Führungen, Themenführungen, Abendführungen mit Crémant, sowie Künstlergespräche und Begleitvorträge. Termine unter www.opelvillen.de.
Dass Opel die Transportfahrzeuge zur Verfügung stellte, passt zur Philosophie der Kunst- und Kulturstiftung: Mobilität für Kultur. „Es geht nicht nur darum, Kunst zu zeigen, sondern sie überhaupt erst zusammenzubringen“, so Kemfert. In den Ausstellungsräumen entfaltet sich Hélène de Beauvoirs Werk wie ein Mosaik der Emanzipation. Frühe, gegenständliche Zeichnungen stehen neben abstrakten Farbexplosionen der 1960er Jahre. Dazwischen: politisch aufgeladene Szenen – etwa das monumentale Gemälde „Ich liebe dich, ach sag es mit Pflastersteinen“, eine Reaktion auf die Studentenrevolte von 1968.
Ein Blick mit anderen Augen
Die Frau steht stets im Zentrum: stark, verletzlich, kämpferisch. In den 1970er Jahren engagierte sich Hélène de Beauvoir in der Frauenbewegung, thematisierte Gewalt, Körperlichkeit und Umweltzerstörung – lange bevor der Begriff Ökofeminismus populär wurde. „Mit anderen Augen sehen“ – das war Hélène de Beauvoirs Appell. Ein Aufruf, die Welt nicht durch die Brille der Gewohnheit zu betrachten, sondern durch den Blick der Empathie, der Verletzlichkeit, der Gleichberechtigung.




Für Beate Kemfert war es nur folgerichtig, die Ausstellung mit den späten Bildern zu beginnen – jenen intimen Darstellungen von Frauenkörpern, die kurz nach dem Tod ihrer Schwester Simone entstanden. Auf blauer Wand hängen dann bislang unentdeckte Ölbilder, die Hélène de Beauvoir zurückgezogen im Elsass Mitte der 1960 Jahre schuf. „Das war für sie ein Wendepunkt, fast eine Befreiung“, sagt Kemfert.
Kunst, die bewegt
Immer wenn wertvolle Leihgaben in Rüsselsheim ankamen, herrschte Gänsehautstimmung. „Da steht dann der Movano auf dem Hof, die Türen öffnen sich – und man sieht zum ersten Mal seit Jahrzehnten diese Werke an einem Ort vereint“, erinnert sich Beate Kemfert. „Das sind Momente, die man nicht vergisst.“ So ist die Ausstellung nicht nur eine Hommage an eine außergewöhnliche Künstlerin, sondern auch an das, was Kunst und Technik verbindet: Bewegung, Präzision, Leidenschaft.
Oktober 2025