Das Team der Opel-Werksbahn im Januar 2020.

Nächster Halt:
100. Geburtstag

Knallgelb, fast geräuschlos und stets auf Schienen – so verkehrt die Werksbahn von Opel heute zwischen den Fertigungshallen des Rüsselsheimer Unternehmens. Vor 100 Jahren, als die erste Lokomotive auf dem Werksgelände am Opel-Unternehmenssitz ihren Dienst aufnahm, war das noch etwas anders.

Die rußschwarzen Dampfloks, die ab 1920 über die Gleise schnauften, sind aber längst vergessen. Die aktuelle Werksbahn-Mannschaft mit ihrer Flotte aus Spezial-Lokomotiven in leuchtendem Gelb steht sauber da und leistet nach wie vor einen wichtigen Beitrag zur effizienten Logistik des Unternehmens.

Ein klug gewählter Ort

Schon Firmengründer Adam Opel wählt 1868 für seinen Fabrikneubau einen Standort unmittelbar am Rüsselsheimer Bahnhof. 50 erfolgreiche Jahre später, nach Jahrzehnten der Expansion bei der Nähmaschinen-, Fahrrad- und Automobilproduktion, wird seinen Söhnen klar, wie vorteilhaft ein eigener Gleisanschluss sein würde.

Die Anlieferung von Rohstoffen und Komponenten ist hier ebenso im Blick wie der geschmeidige Versand der fertigen Produkte. Daher nimmt Carl von Opel 1918 mit der „Königlich Preußischen und Großherzoglich Hessischen Eisenbahndirektion“ in Mainz Kontakt auf und verhandelt über einen eigenen Anschluss für das Werk. Sein Anliegen wird befürwortet und schon zwei Jahre später kann die erste werkseigene Rangierlokomotive ihre Arbeit aufnehmen – ab jetzt heißt es Volldampf voraus für die Opel-Werksbahn.

Erste Opel-Werksbahn: Die Hohenzollern-Rangierlok vom Typ „Oberkassel“ ist die älteste überlieferte Maschine. die auf den Rüsselsheimer Werksgelände ihren Dienst leistet.
Moderner Transportweg: 1927 werden Opel-Fahrzeuge auf Waggons verladen.
Weltweiter Versand: Per Güterbahn verlassen auch Opel-Fahrräder das Rüsselsheimer Werk.

Verbunden mit ganz Europa

Die ersten Loks fahren noch mit Dampf. Die älteste überlieferte Maschine ist eine Rangierlok der Düsseldorfer Lokomotivfabrik Hohenzollern. Das Stahlross vom Typ „Oberkassel“, Baujahr 1914, wird um 1920 gebraucht von der Zuckerfabrik Dormagen übernommen.

Wie alle Opel-Werksloks ist es eine „Normalspur“-Lok, hat also eine Spurweite von 1.435 mm – dieses Maß ist auch heute noch in Europa, Nordafrika, Nordamerika und China die Standardspurweite. Die Gleisanlagen in Rüsselsheim sind also von Anbeginn voll kompatibel mit dem internationalen Schienennetz.

„Der Dicke Karl“: Lokführer Karl Banger (links) posiert in der Deutz-Rangierlok Typ PMZ 230 R, Baujahr 1927.
Ordnung muss sein: Wie viel logistischer Aufwand hinter dem Vertrieb der Opel-Automobile steckt, lässt diese Aufnahme von 1935 erahnen.

Bühne frei für smarte Schiebebühnen

Anfang 1929 erfolgt im Werk Rüsselsheim ein wichtiger Schritt auf dem Wege zu einer modernen Logistik: Der Opel-Bahnhof wird in Betrieb genommen, ein 7.000 Quadratmeter großer Verladebahnhof mit sechs Gleisen. Drei davon sind mit speziell konstruierten Schiebebühnen ausgestattet. Mittels jeder Bühne können in einer achtstündigen Schicht rund 300 Fahrzeuge auf Waggons gefahren werden.

Für Stückgut steht ein mobiler Deckenkran mit fünf Tonnen Traglast bereit. Das Gebäude ersetzt die bisher verwendete Holzhalle auf dem Reichsbahngelände und erweist sich in kürzester Zeit als Schlüssel für weiteres erfolgreiches Wachstum.

Zweistöckig: In den 1950er Jahren können Fahrzeuge, wie der Opel Olympia Rekord, bereits auf zwei Ebenen transportiert werden.
1969 am Opel Bahnhof in Rüsselsheim: Exemplare des Opel Rekord warten auf die Abfahrt.

Diesel statt Dampf

Das Dampfzeitalter währt bei Opel nur kurz. Zwei nagelneue Dieselloks ergänzen bereits 1927 den Fuhrpark. Die von der Motorenfabrik Oberursel gebauten Deutz PMZ 203 R werden durch 55 PS starke Zweizylinder-Zweitaktdiesel angetrieben. 1928 stößt eine 83 PS starke PMD 230 R dazu, 1942 eine mit Leuchtgas betriebene Deutz GA6M 420 R mit Sechszylindermotor. Auch das 1935 eröffnete Zweitwerk in Brandenburg an der Havel besitzt Gleisanschluss und eine eigene Deutz-Diesellok.

1948 werden alle Opel-Dampfloks ausgemustert und verkauft – die Deutsche Bahn lässt sich mit diesem Modernisierungsschritt bis 1977 Zeit, die Deutsche Reichsbahn in der DDR gar bis 1988. Bei Opel wird der Neubeginn nach dem Krieg ausschließlich mit modernen Maschinen angegangen. Den Anfang macht 1946 eine Gmeinder N 130, zwischen 1952 und 1961 folgen insgesamt fünf nagelneue Deutz-Lokomotiven. 1965/66 kommen weitere Loks dazu, diesmal von Orenstein & Koppel.

Mit dem steten Wachstum des Rüsselsheimer Werkes werden auch die Anlagen der Werksbahn konsequent ausgebaut. Der Opel-Bahnhof wird durch das zeitgemäße Bahnverladungs-Gebäude K100 ersetzt. 1973 beträgt die Länge des internen Schienennetzes 25,3 Kilometer. 126 Weichen und Kreuzungen helfen beim Steuern der Abläufe. Die Eigenheiten von 50 Ladestellen gilt es zu berücksichtigen.

Feiner Zug: Um 1966 entsteht im Opel-Werk Bochum diese Aufnahme einer Henschel-Rangierlok.
Bochum 1986: Bei der Materialanlieferung im Opel-Werk spielt die Werksbahn eine wichtige Rolle.
Verkehrt in Kaiserslautern: Eine Lok 3 O&K Typ MB 300, Baujahr 1980.

Just in time

Zwei Dinge sind für die Opel-Werksbahn seit jeher charakteristisch. Zum einen die Besonderheit, dass die Opel-Loks auf öffentlichen Gleisen Waggons von der DB übernehmen beziehungsweise an sie übergeben. Das erfordert ein großes Maß an Überblick und Koordination.

Zum anderen sind Fahrten auf dem Werksgelände anspruchsvoll, weil rund die Hälfte der Gleise aus Straßenschienen besteht – Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger bewegen sich gleichberechtigt nebeneinander. Das verlangt dem Team um Opel-Bahnbetriebsleiter Ulrich Knissel stets hohe Konzentration ab.

In den letzten Jahrzehnten ist eine weitere Herausforderung immer wichtiger geworden: die Just-in-Time-Lieferung. Die zeitlich eng kalkulierten Produktionsabläufe erfordern auch von der Werksbahn größte Präzision.

Der Komponenten-Transport zwischen den einzelnen Werken erfolgt in weiten Teilen nach wie vor über die Schiene – besonders im Fokus steht hier die reibungslose Zusammenarbeit mit dem Werk Kaiserslautern.

September 2016: Modelle des Opel Zafira (links) und Insignia bei der Bahnverladung in Rüsselsheim.

25,3

Kilometer lang ist das Schienennetz im Jahr 1973.

Güterumschlag im Werk Eisenach: Ein Container wechselt von der Schiene auf einen Lkw-Anhänger.

Eine gepflegte Flotte

Alle Opel-Lokomotiven werden in eigenen Werkstätten regelmäßig penibel gewartet. Dabei sind strenge Bestimmungen und Vorschriften einzuhalten. Im 100. Jahr der Opel-Werksbahn stehen in Rüsselsheim immer noch fünf Loks zur Verfügung.

Die knallgelbe Flotte besteht zurzeit aus zwei mächtigen Henschel DHG 500 C, zwei MaK G 321 B und einer O&K MB 10 N. In Kaiserslautern sind drei weitere O&K-Loks stationiert.

Wartungsarbeiten: Opel-Werksbahn-Mitarbeiter Alex Bendig inspiziert den Deutz V10-Zylinder-Dieselmotor einer MaK G 321 B.

5

Loks sind heute noch in Rüsselsheim im Einsatz.

Beim Rangieren: Gerhard Schönweitz im Führerstand der Opel-Lok 7 (O&K Typ MB 10 N).
Herausrangiert: Lok 6, eine MaK G 321 B, Baujahr 1984, verlässt die Wartungshalle im Rüsselsheimer Werk.

November 2020

Text: Leif Rohwedder, Fotos: Opel