In the best of hands: Christof Scherl has spared no effort to get his 1995 Opel Calibra in top condition.

Calibrian Rhapsody

Da stand er nun. Das Modell, nach dem Christof Scherl gesucht hatte. Allerdings nicht gerade in dem Zustand, den sich der Käufer eines „Gebrauchten“ wünscht: Defektes Schiebedach, Kupplung und Stoßverdämpfer verschlissen, und dass es beim intensiveren Kennenlernen zu weiteren bösen Überraschungen kommen würde, war recht wahrscheinlich. Aber: Die Karosserie sah weitgehend rostfrei aus, der Wagen präsentierte sich insgesamt „unverbastelt“, also im Originalzustand. Und es war ein „Calibra 2.0 16 V Keke Rosberg Edition“, Baujahr 1995. Ein Coupé also, bei dem die Musik noch vom Motor kommt und nicht vom Auspuff. Eines, wie es kaum jemand sonst besitzt. Eines, zu dem er einen persönlichen Bezug hat – und ein Opel: Damit waren alle Kriterien erfüllt, nach denen der Opel-Ingenieur gesucht hatte. Also schlug er ein.

Zum Jahreswechsel 2016/17 überführte der heute 52-Jährige seine Neuerwerbung von Gelsenkirchen in seine Frankfurter Heimat. TÜV-tauglich hatte ihn der Händler ja gemacht. Davor hatte das limitierte Calibra-Sondermodell für den sportlich-dynamischen Auftritt allerdings zehn Jahre lang stillgelegen. Und die befürchteten bösen Überraschungen ließen nicht lange auf sich warten: Am Abgasrückführungssystem war statt eines Originalteils ein Stück Gartenschlauch eingesetzt worden, am Getriebe war mit Dichtmasse gepfuscht worden, diverse Heizungsschläuche waren porös, die Zylinderköpfe undicht und, und, und… . Wäre der Wagen bei Christof Scherl nicht in besten Händen gewesen, würde das Sport-Coupé wohl heute noch in der Garage stehen.

Legendäre Silhouette auf der Frankfurter Westhafenbrücke: Lang gestreckte Motorhaube, niedrige Dachlinie und eine weit nach hinten gezogene C-Säule – der revolutionäre cw-Wert von 0,26 machte den Calibra zum Aerodynamik-Weltmeister. 

„Du willst cruisen – und findest dich an Ecken wieder, die du noch nie zuvor gesehen hast.“

Christof Scherl ist das, was man einen Car Guy nennt: Bei Opel ist er für Innovationen zuständig, die Arbeit am Youngtimer ist für ihn der perfekte Freizeitausgleich.

Der Mann für Innovationen

Christof Scherl ist nach eigener Aussage „mit dem Opel-Schnuller im Mund“ aufgewachsen. Vater Theo hat einst im Karosseriebau der Fertigungshalle K130 die erste Roboterstraße aufgebaut. Der Junior steht seit 35 Jahren bei Opel in Diensten. Die Basis dafür legte eine Lehre bei Opel Schäfer in Wiesbaden – Kfz-Mechaniker, so hieß das damals noch. Nach seinem anschließenden Maschinenbau-Studium war er am Hauptsitz in Rüsselsheim fast durchgehend für technische Innovationen zuständig, unter anderem in der Brennstoffzellenentwicklung. Aktuell ist Christof Scherl als Planungsingenieur für die nächste Astra-Generation im Einsatz. Für jemanden, dessen Blick im Job stets in die Zukunft gerichtet ist, „ist so ein Youngtimer der ideale Freizeitausgleich“, findet der Car Guy.

Dieser hier beanspruchte ihn allerdings mehr, als ihm lieb war. Auch finanziell. Und ohne die Unterstützung der Experten vom Opel Autohaus Karl Meyer in Frankfurt wäre der Calibra kaum mehr flott geworden. Die versierten Schrauber von nebenan hatten nicht nur die Idee, sondern auch einen Omega-Unfallwagen mit einem passenden Motor zur Hand: Statt der aufwendigen Reparatur der Zylinderköpfe konnte daher gleich das komplette 136-PS-Aggregat ausgetauscht werden. Doch auch nach dessen Einbau war noch keine Jungfernfahrt in Sicht: Das Interieur musste gereinigt, Dellen und Kratzer beseitigt, Haube und Stoßfänger lackiert werden. 

Vierventiltechnik trifft auf Kassette

Die Liebe zum historischen Detail ging so weit, dass sich der Ingenieur ein altes Kassettenradio besorgt hat, um es als Ersatzteillager für die Reparatur des eingebauten Original Stereo-Cassetten-Radiogeräts Philips SC 804 zu benutzten. Parallel überspielte er Teile seiner CD-Sammlung wieder auf Kassette. Wenn jetzt der kernige Klang der Vierventiltechnik auf die Rockklassiker etwa von „Queen“ vom Magnetband trifft, ist der Zeitmaschinen-Flair perfekt und aus der „Bohemian Rhapsody“ wird die „Calibrian Rhapsody“. 

Hightech mit sportlichem Flair: Weiße BBS-Leichtmetallräder mit 205/50er-Reifen gehören zur Serienausstattung, ebenso das elektrische Schiebedach. Pate stand Keke Rosberg, Formel 1-Weltmeister von 1982 und DTM-Fahrer. 
Entschlossener Blick: Die schmalen Scheinwerfer messen gerade einmal sieben Zentimeter in der Höhe. 
Sportschau: Das Opel Motorsport-Emblem am Heck

Modell: Opel Calibra
Baujahr: 1995
Länge: 4492 mm
Breite: 1688 mm
Höhe: 1320 mm

Neupreis: ca. 49.000 DM

Der Calibra fasziniert nach wie vor – ich werde oft angesprochen.

Dabei wagte sich der Restaurator erst im vergangenen Jahr mit seinem runderneuerten Gefährt wieder auf öffentliche Straßen zurück – und genießt seitdem die Aufmerksamkeit, die ihm von Autofreunden zuteil wird, umso mehr. „Der Calibra fasziniert nach wie vor – vor allem an Tankstellen werde ich oft angesprochen.“ 


Initialzündung in den 90ern

Die erste Ausfahrt war ein besonderes Erlebnis. Denn er, der Coupé-Fan, der auch einen Opel Tigra Twintop fährt, hatte erst ein einziges Mal am Steuer eines Calibra gesessen – „ein Kundenfahrzeug, während meiner Lehrzeit.“ 1995 allerdings, als er bei Opel in der Konstruktionsabteilung anfing, saß zwei Schreibtische entfernt Werner Renneisen, der Skizzen für den aufregenden „Opel Calibra V6 4×4“ zeichnete – und der ein Jahr später die Internationale Tourenwagen-Meisterschaft gewinnen sollte. „Da schauten auch Projektleiter Volker Strycek, später Opel-Motorsportchef, und die Fahrer öfter vorbei“, erinnert sich Scherl. Und er saugte bei diesen Gelegenheiten die Prise Begeisterung ein, die ihn auch später nicht aufgeben ließ, als sein Restaurationsprojekt immer zeitraubender und aufwendiger wurde.

… und am Handgelenk des Fahrers.

Aus seiner Studienzeit Zeit ist ihm noch in Erinnerung wie Fritz Indra, damals Leiter der Motorenentwicklung bei Opel, und Rennfahrer Keke Rosberg an der Fachhochschule die DTM-Version des Calibra vorstellten. Indra lobte erst die Aerodynamik des Wagens und erklärte dann, gespielt vorwurfsvoll in Richtung des Fahrers: „Aber dann öffnet der Rosberg auf der Geraden die Seitenscheibe und schon ist es vorbei mit der optimalen Windschlüpfrigkeit.“ Rosberg konterte knochentrocken: „Ist ja auch keine Klimaanlage drin.“

Gefragter Youngtimer: Üppig ausgestattete Sondermodelle wie „Keke Rosberg“ – der Lenkradkranz aus Leder, Sportsitze, Kontroll- und Bedienelemente mit weißem Ziffernblatt gehören zur Serienausstattung – sind rar und entsprechend begehrt.
Namensgeber: In der Mittelkonsole findet sich eine Plakette mit Keke Rosbergs Unterschrift und der laufenden Nummer der limitierten Edition. 

„Der Calibra ist nur 1,32 Meter hoch – ein Anachronismus, der das Sportcoupé heutzutage umso mehr auszeichnet.“

Und welches Fahrgefühl beschert Christof Scherl der Keke-Calibra? „Man erlebt Geschwindigkeit in so einem Auto vollkommen anders“, sagt er nach kurzem Überlegen. Und dazu muss die 215 km/h-Spitze gar nicht mal ausgefahren werden, „das ist auch nicht zu empfehlen, denn dazu muss der Motor 6.000 Umdrehungen hochgejagt werden“.

Besonders die tiefe Sitzposition sei für den Fahrer heute noch gewöhnungsbedürftiger, als es vor 25 Jahren schon war: „Der Calibra ist ja nur 1,32 Meter hoch – in Zeiten, in denen viele im SUV unterwegs sind, ist das ein Anachronismus, der das Sportcoupé heutzutage umso mehr auszeichnet.“ Mit seinen 1,90 Meter Körpergröße aus einem Calibra auszusteigen, sei im wahrsten Sinne des Wortes „ein Aufstieg“.

Neu unter der Haube: Das 2.0-Aggregat mit 16 Ein- und Auslassventilen verteilt auf 4 Zylinder stammt aus dem Omega.

Motor: X20XEV
Zylinder: 4
Hubraum: 1998 cm³
Max. Leistung: 100 kW/5600 min-1
Drehmoment: 185 Nm/4000 min-1
Höchstgeschwindigkeit: 215 km/h
Beschleunigung 0-100: 9,5 s

Alltagstauglich: Der Kofferraum packt was weg, bei umgeklappten Rücksitzen erst recht.

Mit Klassikern die Welt entdecken

Am nachhaltigsten fasziniere ihn jedoch, dass er nicht nur das Autofahren, sondern auch die Welt neu entdecke. „Mit einem Youngtimer wie diesem willst du cruisen, da fährst du nicht über Autobahnen, sondern ausschließlich über Landstraßen – und findest dich plötzlich an Ecken wieder, die du noch nie zuvor gesehen hast.“ Sein nächstes großes Ziel: Im Oktober zur „Classic Expo“ nach Salzburg, über die Deutsche Alpenstraße – begleitet vom Sound von 16 Ventilen und Rockklassikern vom Kassettendeck. 

Zeitlos schön: Christof Scherl mit seinem Sportcoupé am Frankfurter Mainufer.  

Juni 2021

Text: Eric Scherer, Fotos: Alex Heimann