Einer, der sich immer
treu geblieben ist

Herr Norman, das Wort Karriere bedeutet dem Wortsinn nach „Fahrstraße“. Wenn man in diesem Bild bleibt: Wie sah Ihre Fahrstraße der vergangenen viereinhalb Jahrzehnte aus?
Das war nicht immer eine ruhige Fahrt auf der Autobahn. Eher ein bergauf und bergab – vergleichbar mit einer alpinen Serpentinenstraße. Dazu gehört auch eine Entlassung, die sich im ersten Moment wie eine Sackgasse angefühlt hat. Aber bereits wenige Monate später, im Jahr 2004 war das, ging es mit meinem Eintritt bei Fiat wieder bergauf. Gefördert wurde ich von Dr. Sergio Marchionne und später durch Carlos Ghosn. Seit dieser Zeit bewege ich mich auf einem ruhigen Hochplateau, würde ich sagen.

Haben Sie ein „Erfolgsprinzip“, dem Sie sich verschrieben haben?
Ja, das habe ich: Jeden Tag ein bisschen mehr arbeiten. Und Neues dazu lernen. Das liegt auch daran, dass ich eine eher durchschnittliche Ausbildung genossen habe. Außerdem: Wenn ich einen Fehler mache, dann stehe ich dazu. Unangenehme Aufgaben delegiere ich nicht, sondern erledige sie selbst. Und wenn ich eine Aussage als falsch empfinde, dann sage ich das offen. Auch wenn sie von einem Vorgesetzten kommt.

Auf welche Errungenschaften oder Projekte sind Sie in Ihrer Karriere besonders stolz?
Da würde ich zum einen die klassischen Erfolge nennen: Als sich zum Beispiel nach meinem Antritt bei Volkswagen Frankreich 1995 das Volumen der verkauften Fahrzeuge innerhalb von fünf Jahren verdoppelt hat. Oder der zweimalige Gewinn der Auszeichnung World Car Advertising Campaign of the Year” für die beste Autowerbekampagne des Jahres. Auf der anderen Seite stehen die vielen positiven Begegnungen. Die Förderung junger Talente und Manager zähle ich zu den Errungenschaften, auf die ich immer gerne zurückschauen werde. Aber ich bin auch stolz darauf, dass ich meinen Prinzipien immer treu geblieben bin – auch wenn mich das schon mal den Job gekostet hat.

„Ich bin stolz darauf, dass ich meinen Prinzipien immer treu geblieben bin – auch wenn mich das schon mal den Job gekostet hat.“

In den vergangenen viereinhalb Jahrzehnten haben Sie viele Entwicklungen und Veränderungen in der Branche miterlebt. Welche waren am prägendsten?
Es gibt drei Missverständnisse, die die Branche in 45 ½ Jahren nicht überwunden hat, die mir zigfach begegnet sind. Zum einen bin ich der Meinung, dass Verantwortliche und Entscheider stärker auf die eigenen Prognoseinstrumente vertrauen sollten – und nicht auf diejenigen, die externe Berater erstellt haben. Das gilt für Absatzzahlen allgemein, aber auch für die Entwicklung von Fahrzeugsegmenten – vertraut euren eigenen Prognosen! Im Gegensatz dazu gibt es eine Sache, die zu viel Vertrauen genießt.

Welche Sache ist das?
Die Loyalität der Kunden. Nicht falsch verstehen: Es ist gut, loyale Kunden zu haben und an deren Treue zu arbeiten. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Denn man muss gleichzeitig auch neue Kunden hinzugewinnen. Ein Beispiel dafür ist British Leyland, mein erster Arbeitgeber, aber auch Saab. Beide sind mit einer sehr hohen Loyalitätsrate untergegangen – eben weil die Eroberungsrate gleichzeitig bei null lag. In allen Mainstream-Sektoren und Märkten gibt es drei Hauptgründe für den Kauf eines Autos: Das Design, die Markentreue und der Preis. Letzteres beinhaltet auch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Für das Wachstum einer Marke müssen alle diese Punkte gut beziehungsweise im besten Fall überdurchschnittlich sein. Wenn bei einer Marke beispielshalber nur das Design überdurchschnittlich bewertet wird, dann ist das zwar toll. Es verschafft aber lediglich die nötige Atempause, um auch die anderen beide Punkte voranzutreiben.

Ein Brückenschlag vom Kadett C GT/E zum neuen Opel Astra: Mit Stephen Norman geht nach über 45 Jahren einer der Großen der Branche zum 1. März in den Ruhestand. Im Februar 2021 war er als Vertriebs- und Marketingchef zu Opel/Vauxhall gekommen. Vor seiner Tätigkeit in Rüsselsheim war der gebürtige Brite drei Jahre lang Geschäftsführer von Vauxhall Motors. Im Mai 2014 kam er als Chief Marketing Officer zur Groupe PSA und wurde 2016 Chief Sales and Marketing Officer. Davor war Norman im Top-Management – stets mit Fokus auf Vertrieb und Marketing – von Unternehmen wie Renault, Fiat und Volkswagen international tätig.

„Pricing Power wirkt in einer Art und Weise,
die ich nicht für möglich gehalten hätte.
Der Erfolg ist durchschlagend.“

Und was ist das Missverständnis Nummer 3?
Das betrifft die Schwestermodelle eines Konzerns. Es ist ein Irrglauben, dass sich Schwestermodelle Marktanteile abnehmen. Fakt ist: Sie können friedlich nebeneinander koexistieren. Das zeigt sich auch im Umkehrschluss – Schwestermodelle können sich keine Anteile zuführen. Diese Lektion hat erstmals Peugeot der Branche vor Augen geführt: Mit der Übernahme von Chrysler 1979 ging der 9-prozentige Marktanteil der dazugehörigen Marke Simca in Frankreich nicht wie von den Experten prognostiziert auf Peugeot über, sondern verteilte sich auf den kompletten Markt. Der französische Importmarkt erlebte eine noch nie dagewesene Blüte.

Neben den Missverständnissen – gibt es denn auch Marketing-Praktiken, die aus Ihrer Erfahrung heraus gut funktionieren?
Dazu gehört definitiv: Pricing Power. Also einen definierten Preis gegenüber dem Kunden und dem Wettbewerb am Markt durchzusetzen. Ich habe den erstaunlichen Effekt einer konsequenten und beharrlichen Preispolitik zwei Mal erlebt: Sowohl die Groupe PSA als auch Stellantis wenden Pricing Power mit großem Erfolg in einer Weise an, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Die Effekte zeigen sich auch bei Opel: Kunden sind bereit, für unser modernes Modell-Portfolio mehr Geld auszugeben als in der Vergangenheit. Und sie kaufen höherwertig ausgestattete Fahrzeuge. Das führt in Konsequenz auch zu stabileren Restwerten. Nicht umsonst wurden sowohl der Corsa als auch der Mokka als Restwertriesen ausgezeichnet.

Und was ist mit der klassischen Werbung – kann sie auch etwas leisten?  
Ja, auch sie kann Autos verkaufen. Wenn sie kreativ ist. Mein Tipp: Man sollte nicht zögern, das ursprüngliche Briefing anzupassen, wenn die Kreativen in den Agenturen eine etwas andere Idee präsentieren. Einige der weltweit besten Kampagnen sind auf diese Weise entstanden. Gute Kreative machen den Unterschied.

Sie haben für viele Marken gearbeitet. Gibt es eine, die Ihnen besonders ans Herz gewachsen ist?
Ich habe während meiner Karriere bei fünf großen Automobilkonzernen gearbeitet und habe in fünf verschiedenen Ländern gelebt. Mein Handwerk habe ich bei British Leyland gelernt, wo es eine Kultur gab, in der man den Leuten beibrachte, wie sie ihren Job zu machen haben. Dann lernte ich bei Volkswagen, was es heißt, Perfektionist zu sein. Später bei Fiat lernte ich, schnell zu arbeiten. Bei Renault erreichte meine Karriere ihren Höhepunkt. Und bei der Groupe PSA konnte ich so ziemlich alles einbringen, was ich zuvor gelernt hatte. Bei Opel/Vauxhall hatte ich zudem das Glück, die Leidenschaft für Autos und eine starke Gemeinschaft vorzufinden – beides Dinge, die ich in unserer Branche schon verloren glaubte.

„Bei Opel/Vauxhall habe ich Leidenschaft
für Autos vorgefunden – etwas, das ich in
unserer Branche schon verloren glaubte.“

Sie betonen, dass Leidenschaft eine der wichtigsten Zutaten in der Automobilindustrie ist. Was muss geschehen, um sicherzustellen, dass diese Leidenschaft bei den künftigen Generationen von Autofahrern erhalten bleibt?
In Deutschland streben Talente nach wie vor in die Automobilbranche. Im Vereinigten Königreich, Frankreich und Italien ist das weniger der Fall. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass Deutschland in der Automobilindustrie führend ist. Und das dies so bleibt, daran hat auch Opel/Vauxhall künftig einen wichtigen und unabhängigen Anteil. Hier werden Innovationen vorangetrieben – geben Sie diese Verantwortung nicht aus der Hand!

Mit welchem Opel/Vauxhall-Modell würden Sie Ihre Karriere am ehesten vergleichen?
Nicht unbedingt mit einem Modell. Aber die Marke steht dafür, woran ich am meisten glaube: Opel/Vauxhall ist einzigartig, authentisch und macht Innovationen für alle erschwinglich. Mein Vater beendete seine Karriere als Verkaufsleiter bei Unilever und hatte Anspruch auf einen Jaguar. Er entschied sich für einen Vauxhall Cresta, weil er fand, dass das Auto besser zu ihm passe. Zu Recht! Opel/Vauxhall verkauft großartige Autos an klasse Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. In einem nächsten Schritt wird Opel zu einer jungen, grünen und globalen Marke. 

Haben Sie einen Wunsch, den Sie den Opelanern mit auf den Weg geben möchten?Nirgends habe ich so fähige Menschen getroffen wie bei Opel/Vauxhall. Mein Wunsch ist: Trauen Sie sich, Ihr Potenzial freizusetzen und mit breiter Brust aufzutreten. Haben Sie Spaß an der Arbeit. Meine besten persönlichen Wünsche begleiten jeden Einzelnen von Ihnen!

Zum Ende des Gesprächs hat uns Stephen Norman noch verraten, was er sich für die ersten Wochen seines Ruhestands vorgenommen hat:  „Nachdem mich in den vergangenen 45 ½ Jahren brillante Assistenten in die Grundzüge von Office-Programmen eingewiesen haben, werde ich mich nun in die Feinheiten von Outlook und Co. vertiefen.“ Auch Opel CEO Uwe Hochgeschurtz sendet seine Glückwünsche: „Steves Erfahrung bei Fahrzeugverkäufen und Marketing ist einzigartig. Im Namen des gesamten Opel-Teams möchte ich ihm herzlich für seine unschätzbare Arbeit danken – besonders fürs Schärfen unserer Markenprofile, das Voranbringen der Internationalisierung sowie die Zuwächse bei unseren Marktanteilen.“

Herr Norman, vielen Dank für das Gespräch – wir wünschen Ihnen im Namen aller Mitarbeiter für die Zukunft wir nur das Beste!


März 2022

Interview: Roland Korioth und Tina Henze, Fotos: Opel