The RAK 1 proved for the first time that rocket technology had a future in 1928. Its further fate was unclear - until it was rediscovered in an overgrown garage.

Der letzte Zeuge aus Raketentagen

Der Zweisitzer ist stolze 101 Jahre alt – und zu einhundert Prozent fahrtüchtig. Top gepflegt sowieso. Wer als Autofahrer des 21. Jahrhunderts mit ihm vorwärtskommen will, muss seine Ansprüche an Bequemlichkeit ein klein wenig zurückzuschrauben. Wilfried Senger zieht den Choke, während sein Sohn Ansgar die Handkurbel betätigt. Der Opel 4/16 PS erwacht zum Leben. „Das Gaspedal befindet sich in der Mitte. Und beim Kuppeln muss man stets Zwischengas geben“, erklärt Senger Senior.

Zwölf Raketen statt vier Zylinder

Ob da Fahrfreude aufkommt? „Und ob!“ Doch es gab eine Zeit, da wurde genau dieses Fahrzeug nicht von vier Zylindern angetrieben, sondern mithilfe von Raketen. Denn die Familie Senger aus Rheinhessen ist im Besitz eines besonderes wertvollen Relikts: „Dieser Wagen war einst der legendäre Raketenwagen RAK 1“, sagt Wilfried Senger. Wie das Fahrzeug, das lange als verschollen galt, in seinen Besitz kam? Der 86-Jährige erzählt die spannende, wechselvolle Geschichte des Opel-Originals.

Die heutigen Besitzer Wilfried (links) und Ansgar Senger erzählen die Geschichte des einstigen Prototyps, der zum Raketenauto umgebaut und später in einer Garage wiederentdeckt wurde.
Am 11. April 1928 findet auf der Opel-Testbahn in Anwesenheit von Pressevertretern eine Versuchsfahrt mit dem RAK 1 statt. Das Laden der Raketen übernimmt Friedrich Sander (links am Heck) persönlich.
Mit Kurt Volkhart am Steuer erreicht der RAK 1 binnen acht Sekunden Tempo 100. 
Basis ist ein Opel 4/12 PS. Im Heck sind rund 40 Kilogramm Sprengstoff montiert.
1930 kauft Josef Becker das inzwischen zum Sportwagen zurückgebaute Fahrzeug.

„…der Wagen schoss mit mir davon, die Bahn wurde zum schmalen Strich, die Beschleunigung wurde zur höchsten Lust und zur jubelnden Befreiung.“

– Kurt Volkhart über die Fahrt im RAK 1 – 

Die Geschichte beginnt im Herbst 1927: Der österreichische Autor und Astronom Max Valier reist nach Rüsselsheim. Valier hatte sich in den Kopf gesetzt, die bisherige Grundlagenforschung im Bereich Raketentechnik in die Praxis zu überführen. Ein solch ambitioniertes Vorhaben kostet natürlich Geld – Valier gelingt es bei seinem Besuch, den ältesten Enkel Adam Opels von dem Projekt zu überzeugen: Fritz von Opel. Die beiden beschließen den Bau eines Raketenautos. Als weitere Unterstützung holen sie Friedrich Sander mit an Bord, in dessen Unternehmen Feststoffraketen für Signalzwecke gefertigt werden.

Aus einem Sportwagen wird der RAK 1

Schon in den ersten Monaten des Jahres 1928 wir der RAK 1 auf die Räder gestellt. Basis ist ein Opel 4 PS, dessen Motor und Getriebe entfernt werden. Für den Vortrieb sorgen stattdessen zwölf Raketen im Heck, die über ein Pedal im Fußraum aktiviert werden. Weitere Merkmale des geheimen Raketenautos: Vierradbremse, Stummelflügel, Speichenräder und eine aerodynamische Frontmaske. Sein Potenzial beweist der Wagen am 11. April 1928 bei einer Fahrt auf der Opel-Rennbahn in Rüsselsheim: Obwohl nur sieben der zwölf verbauten Raketen zünden, beschleunigt der Wagen mit dem Rennfahrer Kurt Volkhart am Steuer innerhalb von acht Sekunden auf Tempo 100.

Die Hupe ist aus den 1920ern, ebenso die Scheinwerfer-Anlage.
Im Cockpit des Opel-Originals versammeln sich zeitgenössische und moderne Komponenten.
Bei dem 4/16 PS handelt es sich um den Original-Motor, mit dem das Fahrzeug in den 1930er-Jahren stillgelegt wurde.
Die Auspuffanlage verläuft rechts zwischen Karosserie und hinterem Kotflügel.

Der geglückte Versuch schaffte es auf die Titelseiten vieler deutscher Tageszeitungen. „Die bisherigen Versuche sind weit besser geglückt als wir, Max Valier und ich, ahnen konnten“, lässt Fritz von Opel in einer Presserklärung verlauten und kündigt eine weitere Vorführung auf der Berliner AVUS in einem neugebauten Fahrzeug an. Am 28. Mai 1928 setzt sich Fritz von Opel persönlich ans Steuer des RAK 2 mit 24 Pulverraketen im Rücken und stellt mit 238 km/h einen umjubelten neuen Geschwindigkeits-Streckenrekord auf. Das Raketenzeitalter ist endgültig eingeläutet.

Dornröschenschlaf in der Remise

Und der RAK 1? Der hat ausgedient, er wird zurückgebaut. Also wieder raus mit den Raketen und rein mit dem Vierzylinder-Motor. Aus dem geschichtsträchtigen Rekordfahrzeug wird ein Sportwagen. Irmgard von Opel, ebenfalls eine Enkelin des Firmengründers, fährt ihn zwei Jahre, dann verkauft sie ihn 1930 an Josef Becker, den Onkel von Wilfried Sengers Frau Roswitha. Auch der neue Besitzer fährt das Auto nur kurz und stellt es 1933 in einem Unterstand ab. Die Remise verwildert, das erste Raketenauto gerät in Vergessenheit, während es unter Blättern, Zweigen und Gestrüpp verschwindet. Was sich als eine glückliche Fügung für den Sportwagen erweist, denn so bleibt er während der Beschlagnahmungen und Plünderungen in den Nachkriegsjahren unentdeckt.

Erst 1986, Josef Becker ist bereits verstorben, stoßen dessen Nichte Roswitha und ihr Ehemann Wilfried Senger auf den vergessenen Opel. „Es war durchgerostet, aber noch komplett“, erinnert sich Wilfried Senger, Erbe des 1933 gegründeten Autohauses Senger. Und der gelernte Kfz-Mechaniker macht sich an die Arbeit.

Nötige Modifikationen

Er nimmt den Wagen auseinander, bringt jedes Einzelteil wieder auf Hochglanz – über 14 Jahre zieht sich das Projekt. Denn: Er stellt höchste Ansprüche an seine Arbeit. Der Opel-Oldtimer soll so nah wie möglich am Original bleiben. Modernisierungen erlaubt er sich nur, „wo sie unabdingbar sind“. Etwa, um die Motorkühlung in den Griff zu bekommen, die wiederholt Schwierigkeiten macht. Und ein Blinker ist heutzutage ein Muss, um auf öffentlichen Straßen zugelassen zu werden.

„Ehrlich gesagt, war und ist mir die bewegte Vergangenheit des Wagens gar nicht so wichtig – ich liebe ihn, so wie er jetzt ist.“

– Wilfried Senger –

Die Sengers werden ihren besonderen Opel voraussichtlich bei der Classic Gala in Schwetzingen Ende August präsentieren.
Das Kühlerthermometer brauchte der Wagen in seinem „Raketen-Leben“ nicht.
Das Nummernschild ist eine Nachfertigung des Kennzeichens von 1928. VR war im Deutschen Reich die Kennung der Provinz Rheinhessen.
Die Lackierung in Beige und Rot trug das Fahrzeug zu Irmgard von Opels Zeiten.
Als Referenz dienten Lackreste an UV-geschützten Stellen, etwa unter Zierleisten.

1999 präsentiert Wilfried Senger sein Werk erstmals der Öffentlichkeit: in Rüsselsheim, im Rahmenprogramm zur 100-Jahr-Feier des Opel-Automobilbaus. Der Wagen wird zwar als einzigartiger Prototyp aus der Laubfrosch-Ära erkannt, bestaunt und gefeiert, doch seine glorreiche Vergangenheit als RAK 1 wird erst einige Jahre später enthüllt. Es war Friedrich Rappsilber, Kfz-Gutachter und Typ-Referent der Alt-Opel-IG, dem es 2006 gelingt, die Identität zweifelsfrei zu feststellen.

Gutachter enthüllt Identität

Anhand von Dokumenten, Aussagen von Zeitzeugen und bestimmten Details, die heute noch an dem Fahrzeug sichtbar sind, etwa die Bohrungen für die Luftleitbleche im Karosserie-Rahmen, kommt Rappsilber in seinem Gutachten zu dem Schluss, „dass das zu beurteilende Kraftfahrzeug als erstes Fahrzeug für Versuche mit Raketenantrieb diente – in der Fachpresse RAK 1 genannt.“

Da die übrigen Raketen-Schöpfungen aus Rüsselsheim – RAK 2, RAK-Motoclub und das Flugzeug Opel-Sander RAK.1 – heute nur noch als Nachbauten existieren, ist Wilfried Senger im Besitz des letzten Originals. „Ehrlich gesagt, ist mir die bewegte Vergangenheit des Wagens gar nicht so wichtig – ich liebe ihn, so wie er jetzt ist.“

Gastauftritt im Jubiläumsjahr

Vermutlich wird Ansgar Senger den Wagen bei der Classic Gala in Schwetzingen präsentieren, die vom 30. August bis 1. September 2024 anberaumt ist. „Immerhin steht dort dieses Jahr das Jubiläum ‚125 Jahre Opel-Automobilbau‘ im Mittelpunkt“, freut sich der 59-jährige Junior. Ein würdiger Rahmen also, um den letzten Zeugen aus den Raketentagen von Opel der Öffentlichkeit zu präsentieren.


April 2024

Text: Eric Scherer, Fotos: Alexander Heimann, Opel Archiv, privat